Freitag, 01. Juli 2016 00:00
Vorschulklassen
Keine Vorschulklassen mehr – so nicht!
Ganz Graz ist in diesem Schuljahr ohne Vorschulklasse, Steiermark weit gibt es insgesamt nur 4 Vorschulklassen. Eltern wurden von dieser extremen Situation völlig überrascht.
Zum Vergleich: Wien hat ca. 130 Vorschulklassen, aber nur ca. 50% mehr VolksschülerInnen.
Wie kommt das?
Seitens des Landesschulrats ist zu erfahren, dass es zu Beginn des Schuljahres nur sehr wenige bis gar keine Kinder mit der Feststellung „nicht schulreif“ gegeben hat.
Seitens der Schulleitungen ist zu hören, dass PflichtschulinspektorInnen unmissverständlich signalisierten, dass vor Schuleintritt des Kindes keine Feststellung der Schulreife erfolgen kann/soll/darf, sondern erst während des laufenden Unterrichtsjahres bei Überforderung des Kindes mit einem Wechsel in die Vorschulstufe zu reagieren sei.
Die Folge davon:
Fast alle schulpflichtigen Kinder starten im September als schulreif und werden in die erste Schulstufe aufgenommen. – für wen also Vorschulklassen, heißt es.
Nur schulpflichtige Kinder, die eine Entscheidung der Schulleitung auf „nicht schulreif“ vorweisen können, werden für die Bewilligung von Vorschulklassen gezählt.
siehe News: Vorschule als Angebot notwendig
Was aber verlangt das Gesetz
Die Absätze 2a,b,c des § 6 Schulpflichtgesetz scheinen in der Steiermark nicht ausreichend relevant.
(2a) Die Aufnahme der schulpflichtig gewordenen Kinder, die schulreif sind, hat in die erste Schulstufe zu erfolgen.
(2b) Schulreif ist ein Kind, wenn angenommen werden kann, daß es dem Unterricht in der ersten Schulstufe zu folgen vermag, ohne körperlich oder geistig überfordert zu werden.
(2d) Die Aufnahme der schulpflichtig gewordenen Kinder, die nicht schulreif sind, hat in die Vorschulstufe zu erfolgen.
Die Eltern haben einen Rechtsanspruch auf Überprüfung der Schulreife.
Der Absatz 2c des § 6 SchPflG spricht eine klare Sprache:
(2c) Ergeben sich anläßlich der Schülereinschreibung Gründe für die Annahme, daß das Kind die Schulreife nicht besitzt oder verlangen die Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten eine Überprüfung der Schulreife, hat der Schulleiter zu entscheiden, ob das Kind die Schulreife aufweist. ......... Die Entscheidung ist den Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten unverzüglich unter Angabe der Gründe und der Belehrung über die Widerspruchsmöglichkeit schriftlich bekanntzugeben. Gegen die Entscheidung ist ein Widerspruch an die zuständige Schulbehörde zulässig. Der Widerspruch ist schriftlich, telegraphisch oder mittels Telekopie innerhalb von zwei Wochen bei der Schule einzubringen und hat einen begründeten Widerspruchsantrag zu enthalten.
Die Schule ist verpflichtet, individuell zu entscheiden, ob ein Verfahren zur Feststellung der Schulreife einzuleiten ist. Die Eltern haben das Recht eine Überprüfung der Schulreife zu verlangen und diese ist durchzuführen.
In der Handreichung des Bundesministeriums für Bildung und Frauen „Übergang vom Kindergarten zur Volksschule, Schülereinschreibung und Schulreifefeststellung“,
die ausdrücklich als „Informationen für Schulleitungen“ gedacht ist, steht gleich eingangs zu lesen:
Sehr geehrte Frau Direktorin!
Sehr geehrter Herr Direktor!
Bei einem kindgerechten Übergang vom Kindergarten in die Grundschule ist es wichtig,
a) einerseits die Schulreife abzuklären und den Sprachstand in der deutschen Sprache zu erfassen,
b) andererseits zu erkennen, auf welcher bisher erfahrenen sprachlichen Förderung aufgebaut
werden kann und
c) zu planen, welche Förderungsmaßnahmen eingeleitet oder fortgeführt werden sollen.
Unter Berufung auf die Möglichkeit, während des Unterrichtsjahres den Wechsel des Kindes in die Vorschulstufe durchführen zu können, scheint in der Steiermark ein Gesetz, das ein individuelles Reagieren auf die Lernsituation der einzelnen Kinder ermöglicht, dafür „missbraucht“ zu werden, das bei der Einschreibung zwingend vorgesehene individuelle Vorgehen betreffend Feststellung der Schulreife einzuschränken. Die Feststellung der Schulreife nahezu generell nicht durchzuführen bzw. sich auf den Standpunkt zu stellen „im Zweifel schulreif, im Herbst schauen wir weiter“ ist nicht im Interesse der Kinder.
Wechsel der Schulstufe während des Unterrichtsjahres
§ 17 SchUG – Änderung ab 1.September 2016 in roter Schrift [.. ] * Änderung ab 1.9.2019: tritt außer Kraft - siehe EB September 2019
(5) Innerhalb der Grundstufe I der Volksschule und der nach dem Lehrplan der Volksschule geführten Sonderschule sowie weiters innerhalb der ersten drei Schulstufen der Allgemeinen Sonderschule Innerhalb der Vorschulstufe und der ersten drei Schulstufen der Volksschule und der Sonderschule sind die Schüler berechtigt, während des Unterrichtsjahres in die nächsthöhere oder nächstniedrigere Schulstufe zu wechseln, wenn dadurch der Lernsituation des Schülers eher entsprochen wird und eine Unter- oder Überforderung in körperlicher oder geistiger Hinsicht nicht zu befürchten ist. [ Ein Wechsel von Schulstufen während des Unterrichtsjahres ist nur in dem Ausmaß zulässig, als für den erstmaligen Abschluss der 3. Klasse nicht weniger als zwei und nicht mehr als vier Schuljahre benötigt werden. ] * Über den Wechsel von Schulstufen während des Unterrichtsjahres hat die Schulkonferenz auf Antrag der Erziehungsberechtigten oder des Klassenlehrers zu entscheiden. Diese Entscheidung ist den Erziehungsberechtigten unverzüglich unter Angabe der Gründe und einer Belehrung über die Widerspruchsmöglichkeit bekanntzugeben.
Die Einschreibung in Volksschulen steht kurz/ wieder bevor. Bitte informieren Sie die Eltern umfassend.
Haben Eltern Zweifel an der Schulreife des Kindes, so sollen sie von sich aus die Überprüfung der Schulreife verlangen. Die Schulleitung ist verpflichtet diese durchzuführen.
Verfahren zur Feststellung der Schulreife:
Der Schulleiter bzw. die Schulleiterin kann, wenn er bzw. sie dies für nötig erachtet,
ein schulärztliches Gutachten einholen und
die (nochmalige) Vorstellung des Kindes verlangen.
ein schulpsychologisches Gutachten empfehlen – dieses bedarf der Zustimmung der Eltern.
Eltern können auch „eigene Unterlagen“ beibringen, zB vom Kinderarzt, von den KindergartenpädagogInnen,.....
Diese Personen, die das Kind schon längere Zeit kennen, sollten auf jene Aspekte eingehen, die für das Vorliegen oder eben Fehlen von Schulreife relevant sind. Je besser das Kind beschrieben wird, umso eher fließen die Argumente in die Entscheidung ein.
Entscheiden muss die Schulleiterin bzw. der Schulleiter.
siehe Allgemeines zu Ermittlungsverfahren
Schulreif oder nicht?
Schulreife ist nicht wie die Körpergröße, Haarfarbe oder Alter eindeutig bestimmbar. Ob Kinder, wenn sie dem Unterricht der ersten Schulstufe zu folgen haben, überfordert sein werden, hängt häufig auch sehr stark davon ab, wie der Unterricht abläuft.
Das wissen auch Eltern!
Im Zweifel wollen die Eltern nicht das Experiment eingehen, ob ihr Kind dem Unterricht der ersten Schulstufe vielleicht doch zu folgen vermag ohne überfordert zu sein oder nicht.
Die nachträgliche „Korrektur“ durch den späteren Wechsel in die Vorschulstufe empfinden sie nicht als Vorteil.
Ein Kind, das nach Ansicht seiner Eltern, gestützt durch die Einschätzung von KindergartenpädagogInnen und anderen Fachkräften, die mit dem Kind zu tun haben, noch nicht reif für die Schule ist, ist von seinem Entwicklungsstand –so sehen das nicht nur laienhafte Eltern – einem Kindergartenkind näher als einem Schulkind. Es ist eben ein Vorschulkind und nach Beobachtung vieler Eltern in der Vorschulklasse bzw. im Kindergarten besser aufgehoben, als unter Schulkindern.
Dem System Schule ist es innerhalb von 10 Jahren offenbar nicht gelungen, die Eltern aber auch viele PädagogInnen davon zu überzeugen, dass die „neue Grundstufe“ mit ihrer neuen „Schuleingangsphase“ für jedes schulpflichtige Kind die beste Lösung ist.
Dies sollte zu einer ernsthaften Beschäftigung mit der Praxis der Umsetzung der zahlreichen theoretischen Ansätzen führen.
Einzelne, mehrere, viele „Leuchttürme“ zu haben und vorzuführen, die allerdings oft auch mit höheren Personalressourcen arbeiten können, welche flächendeckend niemals zur Verfügung gestellt würden, wird nicht reichen.
Wenn die „neue Schuleingangsphase“ hält bzw. halten kann, was sie verspricht, nämlich jedem schulpflichtigen Kind das Angebot zu bieten, das seinem Entwicklungsstand entspricht, werden Eltern dieses Angebot auch in Anspruch nehmen.
BIFIE Report 10 / 2013
Häuslicher Unterricht in der Schuleingangsphase Ausmaß – Motive der Eltern – Schulische Rahmenbedingungen
Behauptung bzw. Kritik des LVEV: Flucht in den häuslichen Unterricht, weil Vorschulklassen fehlen
BIFIE Report bestätigt.
Seite 40
Der Aussage, dass es keine Vorschulklasse in der eigenen Umgebung gäbe, wurde in der Steiermark als Grund für den häuslichen Unterricht signifikant öfter zugestimmt als in Tirol (χ²=10,261; p < 0,01). Dieses Antwortverhalten der Eltern hat eine reale Basis. In Tirol war 2010/11 der Anteil der Volksschulstandorte mit Vorschulklasse mit 11 % rund dreimal so hoch wie in der Steiermark, wo an etwas mehr als 3 % der Standorte eine Vorschulklasse geführt wurde.
(Anmerkung LVEV: Im Schuljahr 2016/17 weist die Schulstatistik für die Steiermark nur 2 Vorschulklassen auf, diese sind in der Region Südoststeiermark)
ZB Seite 29
Dass das Vorhanden- bzw. Nichtvorhandensein von Vorschulklassen für die Eltern bei der Entscheidung für häuslichen Unterricht bedeutsam ist, zeigen auch die Elternbefragungen zum häuslichen Unterricht. Steirische Eltern mit Kindern in häuslichem Unterricht nennen besonders häufig (55 %) das Fehlen von Vorschulklassen in ihrer Umgebung als Grund für ihre Entscheidung das Kind zum häuslichen Unterricht anzumelden.
Behauptung bzw. Kritik des LVEV: geringe Umsetzung der gesetzlich vorgesehenen Feststellung der Schulreife
BIFIE Report zeigt:
ZB Seite 19
Demnach waren 2010/11 in Salzburg und Vorarlberg rund 20 % aller Schulneulinge der Vorschulstufe zugeordnet, während in den Bundesländern
Burgenland und Steiermark mit rd. 2 % besonders wenige Kinder auf der Vorschulstufe unterrichtet wurden.
ZB Seite 26
Dass in Oberösterreich, dem Bundesland mit dem geringsten Anteil an häuslichem Unterricht, der Anteil an Kindern auf der Vorschulstufe nur halb so groß ist wie im Land Vorarlberg, ..., lässt sich vermutlich auf unterschiedliche Vorgehensweisen in Hinblick auf den Wechsel der Schulstufe zurückführen.
Für den Einschulungsjahrgang 2006/07 kann nämlich gezeigt werden, dass in Oberösterreich im ersten Lernjahr 7,5 % aller Schulanfänger/innen von der ersten Schulstufe zurück auf die Vorschulstufe wechselten. Im zweiten und dritten Lernjahr wurden 1,8 % der Schulanfänger/innen zurückgestuft. Damit wies Oberösterreich 2006/07 österreichweit die höchste „Rückstufungsrate“ auf (vgl. Tabelle-A 7, S. 68). In Vorarlberg wurden dagegen beim Einschulungsjahrgang 2006/07 nur insgesamt 3,9 % der Kinder zurückgestuft.
Behauptung des LVEV: Eltern überlegen gewissenhaft
BIFIE Report belegt:
ZB Seite 38
Auch bei der Frage nach weiteren Eigenschaften des Kindes, die bei der Entscheidung für den häuslichen Unterricht eine Rolle gespielt haben, werden überwiegend die Defizite in motorischer (Fein- bzw. Grobmotorik), sprachlicher bzw. sozial-emotionaler Hinsicht (geringe Selbstsicherheit, Trennungsängste von der Mutter bzw. den Drillingsgeschwistern, große Sensibilität) oder Konzentrationsschwierigkeiten, teilweise auch gepaart mit einem hohen Aktivitätsniveau beschrieben.
ZB Seite 31
Auch das Alter der Kinder spielt eine entscheidende Rolle bei der Entscheidung der Eltern für den häuslichen Unterricht. Wie in Tabelle 9 sichtbar, haben in Kärnten und der Steiermark etwa drei Viertel, in Tirol rund 60 % der Kinder, die auf der Vorschulstufe zum häuslichen Unterricht angemeldet sind, in den Monaten Mai bis August Geburtstag. Dies zeigt, dass, je näher das Geburtsdatum des Kindes am Stichtag der Schulpflicht (1. September) liegt, desto stärker die Eltern offenbar dazu tendieren, ihr Kind zum häuslichen Unterricht auf der Vorschulstufe anzumelden.
ZB Seite 45 Informationsquellen
Der überwiegende Teil der Befragten (Kärnten: 85 %, Steiermark 88 %, Tirol: 91 %) gibt an, vor der endgültigen Entscheidung für den häuslichen Unterricht bei Personen außerhalb der Familie Informationen eingeholt oder Beratung in Anspruch genommen zu haben. Diese Eltern wurden in weiterer Folge gebeten anzugeben, welche Informationsquellen sie nutzten und wie hilfreich die Informationen bzw. Beratungen waren.
Wie aus Abbildung 13, S. 46, hervorgeht, haben die Eltern in allen Bundesländern am häufigsten die Kindergartenpädagogin/den Kindergartenpädagogen ihres Kindes um Rat bzw. Informationen gebeten. Am zweithäufigsten wurde in Kärnten und in der Steiermark in weiterer Folge die Leitung des Kindergartens kontaktiert. In Tirol ist die Leiterin/der Leiter der künftigen Volksschule die am zweithäufigsten kontaktierte Auskunftsperson. In der Rangordnung an dritter Stelle befindet sich in Tirol die Kindergartenleiterin/der Kindergartenleiter und in Kärnten und der Steiermark die Schulleitung der künftigen Schule. Auskunftspersonen beim Bezirksschulrat und die künftigen Lehrpersonen wurden in allen Bundesländern am wenigsten häufig zu Rate gezogen (jeweils rund 20 % der Eltern).
Report 10 / 2013
siehe auch EB Jänner 2008: Flucht in den häuslichen Unterricht
zurück weiter